Zurück in Khartoum

Januar 2003: Kein Wasser - aber immerhin Strom. Seit 5 Tagen bin ich jetzt in Khartoum, Sudan. Mein Magen hat gut durchgehalten. Ein bisschen Bauchgrummeln hab ich jetzt. Vielleicht auch aus Überraschung überhaupt hier zu sein. Es ging ja alles schnell und nun werde ich ‚inshallah' sogar in den Norden kommen und dort neben Trinkwasserversorgungsanlagen und Windkraftoptionsflächen sogar ein paar historische ‚Baustellen' sehen. Hab grade in meinen etwas verstaubten Reiseführern geblättert. Die lagen ja lange - genau 7 Jahre - in der Kiste. 7 Jahre sind seit meinem letzten Besuch hier vergangen. Jetzt freu ich mich wieder hier zu sein und besonders auf die Fahrt nach Norden. (Bilder: »Aufbruch nach Dongola)

Hab hier eine tolle Wohnung von einem Freund überlassen bekommen - mit Telefon, Strom (oft), Wasser (manchmal) und Laptop-Computer zum Arbeiten. Den hab ich grad zur Jukebox umgewandelt und lass meine Ohren zur Abwechslung mal mit etwas westlichen Klängen beschallen. Dem Ding kann ich zwischendurch ein paar aktualisierte Fließbilder entlocken - was auf den Besprechungen sehr eindrucksvoll wirkt. Sowieso beweg ich mich hier nur unter Freunden. Das vereinfacht doch vieles, diese nette, gastfreundliche Art im Sudan. Auch wenn ich gerade zu 90% arabischen Unterhaltungen folgen muss, fühl ich mich ganz gut unterhalten. Zumindest weiß ich durch englische Fachausdrücke und meine paar Brocken Arabisch in etwa um was es geht. Dazwischen lass ich mir dann von Atif erzählen was es Neues gibt.

Was hat sich alles verändert hier? Einiges in den immerhin 7 Jahren. Nachdem ich jetzt alle wiedererkannt habe ist's so als ob ich nie weggewesen wäre. Die Stadt hat sich auf den ersten Blick nicht viel verändert - auf den zweiten Blick dann doch sehr. Der Verkehr erinnert jetzt mehr an Kairo - nicht mehr das gemütliche Khartoum. Die Straßen heillos verstopft aber irgendwie fließend. Ein interessantes Phänomen - dieses Ineinanderfließen von Fahrzeugen, Menschen und Eselkarren ist immer wieder faszinierend. Zum erstenmal hab ich jetzt eine Ampel mit Regelfunktion gesehen (früher blinkten die wirkungslos vor sich hin). Aber eigentlich braucht's keine Ampel: es wird viel gedrängelt, viel gehupt und viel aufgepasst. (vergleiche Kairo »Schilderung)

Ein paar Besonderheiten: Auf Brücken Nachts das Licht ausschalten und die wechselnde Einbahnregelung auf der Brücke Khartoum nach Bahri (Khartoum Nord). Die Taxis sind immer noch gelb mit sorgfältig geradegeklopften Kotflügeln. Viele Nebenstraßen sind unbefestigte Lehmpisten.

Aber auch Neues drängt sich vor Auge und Ohr: knatternde Dreirad-Rikschas - aus Indien importiert - mogeln sich durch den Verkehr, schießen urplötzlich aus einer Nebenstrasse auf die Hauptstraße und verschwinden wieder in einer Gasse. Das ist die neue günstige Transportmöglichkeit - gibts erst seit ein paar Jahren. Die Knattertaxis dürfen allerdings nicht über die Nil-Brücken. Vom Gebrauch wird mir dringend abgeraten, das reizt natürlich besonders ;-) leider hatt ich keine Zeit mehr eines zu testen (habe ich dann 2 Jahre später nachgeholt).

Neu sind auch die riesigen Tankstellen - überall und bunt leuchtend. Viele Autos wollen viel Sprit! Die Gallone (4,8 l) kostet den Preis von einem Liter in Deutschland. Das ist zwar für hiesige Verhältnisse schon viel, aber genug Leute können sich's leisten. Also müssen neue Straßen her... und die gibt's natürlich auch - breit wie Autobahnen. Aber aufgepasst! Da kommt schon mal ein Knatterdreirad entgegen oder ein Bus wechselt 3 Spuren. Oder die Teerbahn endet unvermittelt in einem tiefen Lehmkrater, in den der abbiegende Verkehr eintaucht oder eine Knatter-Rikscha auftaucht. Der restliche Verkehr wechselt rechtzeitig über den Lehm-Mittelstreifen auf die andere Fahrbahn, wo der Gegenverkehr ‚bereitwillig' Platz machen muss. Es wird gehupt, gelichthupt aber keiner regt sich lange auf - wer eher dran ist fährt weiter. Blech ist ja nicht heilig - zumindest das könnten wir in Deutschland lernen.

Die Stadt wächst unerbittlich. Hinterm Flughafen war früher Ödland. Da ist jetzt ein neuer Stadtteil entstanden. Der Airport - jetzt mitten in der Stadt - soll nach draußen weichen (nach Münchner Vorbild). Und das früher Unvorstellbare: es gibt Internet und Handys! Von denen wird auch ausgiebig Gebrauch gemacht und so piepst und klingelt es Allerorten.

Der Nil ist die natürliche Lebensader des Landes. Und das ist kein leerer Spruch. Ohne Nil gäbe es hier kein Millionenzentrum, sondern Sand, Steine und Wüste. Besser gesagt gibt's sogar 2 Nile, die im Städtedreieck Khartoum / Omdurman / Khartoum Nord (arabisch: Bahri) zusammenströmen. Der blaue Nil, schnell und ‚schmal' vom Äthiopischen Hochland kommend. Der weiße Nil, träge, breit und trübe, kommt aus den Sümpfen des Sudd. Beide Flüsse haben schon viel von Afrika gesehen und wälzen sich dann gemeinsam in riesigen Schleifen Richtung Ägypten und Mittelmeer.

Wem diese Schilderung zu blumig ist, der sollte sich dieses Schauspiel einmal selber anschauen. Wenn der ‚blaue' Blaue Nil, durch die Insel Tuti in zwei Ströme geteilt, fast rechtwinklig in die Schlammfluten des wie ein See wirkenden ‚hellgrauen' Weißen Nil schießt und dann beide einträchtig nebeneinander Omdurman passieren, bevor sie sich ineinander auflösen, fragt man sich beeindruckt, wo soviel Wasser in der Wüste herkommen kann. Und was wäre, wenn der weiße Nil im Sudd versanden würde (wie der Okawango oder die Flüsse des Tschadsees) und der blaue Nil zum Roten Meer abbiegen würde. Kein Khartoum, keine Pharaonen, keine Pyramiden, kein Kairo....

Wer die Besonderheit dieser Flussmündung, den Sunt-Wald sehen will, kommt schon zu spät. Der Wald musste größtenteils dem Bau einer neuen Brücke und einem neuen Geschäftszentrum weichen. Auch die Felder am Nil schrumpfen für Khartoums neue Hochhäuser. Omdurman am westlichen Nilufer hat sein ursprüngliches Flair eher erhalten. Es gibt keine Hochhäuser und nahezu alle Neben- und Wohnstrassen sind Lehmpisten. Nördlich Khartoums liegt Khartoum Nord, Bahri genannt - was auf Arabisch ‚Nord' bedeutet. Bahri ist eine Industriestadt mit breiten Hauptstraßen und Wohngebieten, die nach Norden entlang des Nils und der Eisenbahnlinie wachsen.

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Lothar Tallner (über Reise 2003)
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